Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) vom 17.11.2010, Rolf Maug
Abrechnung : Brüssel knöpft sich Dortmunds U-Turm vor
Dortmund.
Entweder hat der Knall der Kostenexplosionen beim U-Turm-Ausbau die EU
aufhorchen lassen. Oder jemand hat ihnen etwas zugeflüstert. Oder
beides. Unterm Strich läuft's auf das gleiche Ergebnis heraus: Die EU
hebt das Dortmunder U auf den Prüfstand.
„Für den Fall, dass die
Projektkosten 50 Mio Euro überschreiten, bereiten wir uns vorsorglich
darauf vor, bei der EU einen Großprojekteantrag zu stellen", bestätigte
Stefanie Jenkner, eine Sprecherin des federführenden NRW-Ministeriums
für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport, am Mittwoch (17. November
2010) auf Anfrage der WAZ.
Hintergrund: Europa schaut in den
meisten Fällen nicht so genau hin, wenn ein Bundesland Projekte zur
Strukturförderung anmeldet. Im Vertrauen auf die Redlichkeit der
Antragsteller zückt Brüssel bei minderschweren Summen ohne eigene
Prüfung das Scheckbuch. Die Bagatellgrenze liegt bei 50 Mio Euro.
Da
blieb der Ausbau des früheren Kellereihochhauses der Union-Brauerei
(Baujahr: 1927) zu einem europaweit einzigartigen Innovationszentrum für
Kunst und Kreativität - mit damals vorgerechneten 45,76 Mio Euro klar
drunter, als die stellv. Regierungspräsidentin im November 2008 nach
Dortmund kam. Im Gepäck: Der Förderbescheid des Landes NRW im Wert von
32 Mio Euro. Allein 23 Mio (50 Prozent) schoss Europa hinzu. Nur 30
Prozent sollte die Stadt selbst beisteuern - zuzüglich möglicher
Mehrkosten.
Unrealistisch
Dass das „europaweit
einzigartige Innovationszentrum" für 46 Millionen nicht zu bekommen sein
würde - und schon gar nicht zeitgerecht bis zum Kulturhauptstadtjahr
2010, müssen die Projektverantwortlichen zumindest geahnt haben; die
Grünen sahen die Gesamtkosten von Anfang an eher bei 70 Mio.
Ohne die
Zuschusszusage zum Förderprojekt abzuwarten ließ der damalige OB
Langemeyer (SPD) den Rat vorab schon mal eine „dringliche" Dach- und
Fachsanierung für etwa sechs Mio Euro beschließen (letzter Stand: 22,5
Mio) . Womit die damals schwarz-gelbe Landesregierung kein Problem
hatte. „Nach meinem Wissen liegen die Kosten des Förderprojekts noch
immer unter 50 Mio Euro", sagte Stadtkämmerer Jörg Stüdemann gestern
unserer Zeitung. Der Sprung über die 50-Mio-Grenze sei allerdings
„wahrscheinlich".
Zahl zweitrangig
Die Zahl unterm
Strich ist für den Kämmerer inzwischen auch gar nicht mehr
ausschlaggebend. Der Anstoß für die anspruchsvolle Großprojekte-Prüfung
im Nachhinein sei aus dem NRW-Finanzministerium gekommen, teilt
Stüdemann in einem nicht-öffentlichen Bericht für die heutige
Ratssitzung mit - und zwar schon im Frühjahr 2010, also noch vor der
Abwahl der Regierung Rüttgers.
Abweichend von der Linie, die
zwischen den beteiligten NRW-Ministerien vor der Ausstellung des
Bewilligungsbescheides fürs „U" abgestimmt war, hatte man im
Finanzministerium urplötzlich kalte Füße bekommen und stellt zumindest
in Frage, ob die „Differenzierung in Teilprojekte" (also die Abtrennung
der Dach- und Fachsanierung) tatsächlich vereinbar ist mit den
Förderrichtlinien der EU. Stüdemanns Fazit: „Die Überschreitung der
50-Mio-Grenze wäre also nur ein weiterer, aber nicht allein
entscheidender Punkt für die Antragstellung."
Prüfungsergebnis ungewiss
Wie
die Prüfung in Brüssel ausgehen wird, mag der Kämmerer nicht
abschätzen. „Ich bin kein Förderspezialist." Eher schon ist sich
Stüdemann sicher, dass sein Haushalt schadlos bliebe, sollte die EU zu
dem Schluss kommen, dass die 23 Millionen zu Unrecht geflossen sind, und
ihr Geld zurückfordern.
„Wir haben unseren Förderantrag beim Land
gestellt und auf der Grundlage des Bewilligungsbescheides des Landes
gehandelt", stellt Stüdemann klar. „Wir halten uns letztlich an die
Landesregierung." Dass die EU die 23 Mio zurückfordert, kann sich
Stüdemann „nicht vorstellen". In erster Linie seien die Fördermillionen
ja für die Kulturhauptstadt geflossen. „Und dieser Zweck ist erreicht."