Die hohen PCB-Blutwerte, die bei MitarbeiterInnen
von Envio festgestellt wurden, sind erschütternd. Für die Betroffenen
ist das ein Horrorszenario. Envio hat unter den Augen der
Überwachungsbehörden die Gesundheit von MitarbeiterInnen schwer
geschädigt und sorgt für einen Umweltskandal, dessen Ausmaße von Woche
zu Woche größer werden. Offensichtlich hat der Nachfolger von ABB es
verstanden, aus Trafomüll Gold zu machen, ohne seiner Verantwortung als
Arbeitgeber auch nur im entferntesten gerecht zu werden. Man kann nur
mutmaßen, wie die Verarbeitung von Transformatoren in Korea erfolgt.
BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN werden aufgrund der Komplexität der Sachverhalte auf
verschiedenen Ebenen aktiv werden. Offensichtlich gab es bereits seit
2007 anonyme Hinweise zu Mängeln beim Arbeitsschutz in der Firma Envio,
denen von der Bezirksregierung nachgegangen wurde. Wenn es tatsächlich
so früh Hinweise auf einen unzureichenden Schutz der MitarbeiterInnen
gab, ist das jetzige Ergebnis der Gesundheitsuntersuchungen umso
erschütternder. Im Detail ist darzulegen, welcher Art die Beschwerden
waren und welche Kontrollen daraufhin mit welchem Ergebnis durchgeführt
wurden.
Als Leiterin des Gesundheitsamtes hat Frau Dr. Düsterhaus
dafür zu sorgen, dass die gebotenen Blutuntersuchungen und die
erforderliche Blutabnahmen unbürokratisch, zügig und ohne weitere
peinliche Pannen abgewickelt werden, damit die betroffenen Beschäftigten
und AnwohnerInnen vollständig und zeitnah wissen, woran sie sind.
Gezielte Nachuntersuchungen auf Dioxine und Furane müssen folgen. Ebenso
müssen allen, bei denen erhöhte Werte festgestellt worden sind,
regelmäßige Untersuchungen angeboten werden. Im Ausschuss wollen wir
auch eine vollständige Aufklärung über die Zahl der Festangestellten,
der Leih- und der ZeitarbeiterInnen, die bei Envio seit 2007 beschäftigt
waren. Alle müssen unverzüglich und vollständig über mögliche Risiken
aufgeklärt werden.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden aber auch auf
Landes- und Bundesebene aktiv werden. In jedem Fall muss das Auswärtige
Amt eingeschaltet werden, um auch die Auslandsaktivitäten von Envio z.
B. in Korea ins Visier zu nehmen. Wir werden auch auf Landesebene alles
in die Wege leiten, um zu einer vollständigen Aufklärung der Vorgänge um
Envio beizutragen. Dazu gehört unter anderem die Prüfung, ob die
Bezirksregierung Arnsberg ihrer Aufsichtspflicht in ausreichendem Maße
nachgekommen ist. Es muss auch darüber nachgedacht werden, Kontrollen
von Firmen, die mit gefährlichen Stoffen arbeiten, zukünftig wesentlich
zu verstärken. - Hier ist vor allen Dingen auch an unangemeldete
Kontrollen ohne konkreten Anlass zu denken. Aktuell muss sichergestellt
werden, dass alle Verursacher von PCB-Belastungen im Hafengebiet
gefunden werden und alle Betriebe überprüft werden, die ggf. Material
von Envio erhalten haben.
Auch auf kommunaler Ebene werden wir
auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes NRW Akteneinsicht
bei der Bezirksregierung, deren oberster Repräsentant anscheinend völlig
abgetaucht ist und sich diesmal gar nicht für Dortmund interessiert,
beantragen. Die bisherigen Informationen von den Behördenvertretern
waren nur teilweise befriedigend und in einigen Punkten ausweichend. Von
daher wollen wir uns selbst ein Bild von der Arbeit der Behörde machen.
Hintergrund:
Westfälische Rundschau vom 09.06.2010, Klaus Brandt
PCB-Skandal Erschreckende Blutwerte bei Envio-Mitarbeitern
Dortmund.
Die ersten Befunde von Blutuntersuchungen im Zuge des Giftskandals im
Hafen liegen der WR exklusiv vor. Sie fallen erschreckend aus. Zwei
langjährige Envio-Mitarbeiter ließen sich auf eigene Kosten untersuchen -
und haben deutlich erhöhte Mengen von krebsverdächtigem PCB im Körper.
In der Spitze liegen die Werte fast um das 50-fache über den Toleranzen.
Die Betroffenen sind erschüttert und wollen klagen.
Weil sie
sich krank fühlten, gingen sie zum Arzt - die Männer, die vier bzw. drei
Jahre in der PCB-Reinigung des Entsorgers geschafft haben. Ihre
Blutwerte sind niederschmetternd. In allen sechs analysierten
PCB-Untergruppen liegen sie über den Richtwerten. Der Jüngere, gerade
33, hat die höheren Giftbelastungen im Blut. Vom PCB 28, für das
medizinisch schon 0,1 Mikrogramm pro Liter zuviel wäre, kommen bei ihm
4,7 Mikrogramm auf jeden Liter Blut. Bei den besonders gefährlichen
hochchlorierten Verbindungen (PCB 138, 153, 180) übersteigen seine Werte
die Toleranzen um das Siebenfache. Sein 44-jähriger Kollege ist kaum
besser dran. Seine Giftanteile im Blut sprengen den PCB 28-Richtwert um
das 30-fache.
Die beiden Betroffenen sind gezeichnet von den
Befunden - physisch wie psychisch. „Ich bin fertig", sagt der
33-Jährige. Er sieht den Kinderwunsch mit seiner Frau gefährdet. Das
Risiko der Zeugungsunfähigkeit oder möglicher Missbildungen beim
Neugeborenen belastet die Ehe. Nackte Existenzängste klingen durch:
„Bekomme ich Krebs? Wie abgesichert ist meine Frau, wenn ich nicht mehr
da sein sollte? Wer zahlt die Folgekosten möglicher Krankheiten?"
Prof.
Dr. Ellen Fritsche, Molekulartoxikologin an der Universität Düsseldorf,
hält den Zusammenhang zwischen den PCB-Werten auf dem verseuchten
Envio-Gelände und im Blut der Beschäftigten für eindeutig. „Es ist klar,
woher das kommt. Der Mann hat da vier Jahre gearbeitet, offenbar unter
schlechten Bedingungen", sagt sie. Ihre Vermutung: „Die Werte von
Mitarbeitern benachbarter Firmen werden mit Sicherheit deutlich
niedriger liegen." Käme es so - dann könnte die beiden Envio-Männer „die
Firma zur Rechenschaft ziehen", so Prof. Fritsche. Das
Gesundheitsrisiko für sie sei kaum absehbar, eine Heilung unmöglich. „Es
gibt keine Therapie."
Dioxin-Test ratsam
Prof. Dr. Michael
Wilhelm, Chef der Kommission Human-Biomonitoring (HBM) des
Umweltbundesamtes, bestätigt das. Ob eine Krankheit folge, wenn ja:
welche und wann - das könne für Tiere beantwortet werden, aber nicht für
Menschen. Doch es gebe Unterschiede. PCB 28 werde „vielleicht in einem
halben Jahr" vom Körper abgebaut, bei anderen Verbindungen „kann es
Jahre dauern - vorausgesetzt, die Betroffenen sind keiner Belastung mehr
ausgesetzt", so Prof. Wilhelm.
Die hochchlorierten PCB im Blut
geben ihm zu denken. „Sie könnten auf Dioxine und Furane hinweisen."
Sein Rat: eine gezielte Nachuntersuchung. Die kostet 650 Euro.
„Das
Einzige, was den Betroffenen bleibt, sind regelmäßige Untersuchungen",
sind sich beide Experten einig. Allemal dann, wenn Symptome vorliegen,
so Prof. Fritsche. Bei dem 33-Jährigen ist das der Fall. Bei einem
Arbeitsunfall schnitt sich ein PCB-belastetes Blech in seinen Arm. Aus
der tiefen Wunde wuchs ein Abszess. Weitere folgten, an
unterschiedlichen Stellen. Der 44-Jährige leidet vermehrt unter
Hautausschlägen. Der Hinweis, das müsse nicht am PCB liegen, greife hier
nicht, meint Prof. Fritsche. „Hier sprechen die Werte eine deutliche
Sprache. Wenn man das veränderte Gesundheitsbild dokumentieren kann,
sollte man die Firma in Regress nehmen." Hautveränderungen seien übliche
Anzeichen für PCB-Schäden.
Die beiden Betroffenen beraten sich
mit ihren Anwälten. „Wenn die Firma keine finanzielle Entschädigung
anbietet, klage ich", sagt einer. Und der Andere: „Ich werde das auch
tun."