Mario Krüger MdL

Sprecher für Kommunalpolitik,
Beteiligungen und Haushaltskontrolle

Plus Minus Normal Invert

10.06.2010: PCB-Belastungen bei Envio-Mitarbeitern

Die hohen PCB-Blutwerte, die bei MitarbeiterInnen von Envio festgestellt wurden, sind erschütternd. Für die Betroffenen ist das ein Horrorszenario. Envio hat unter den Augen der Überwachungsbehörden die Gesundheit von MitarbeiterInnen schwer geschädigt und sorgt für einen Umweltskandal, dessen Ausmaße von Woche zu Woche größer werden. Offensichtlich hat der Nachfolger von ABB es verstanden, aus Trafomüll Gold zu machen, ohne seiner Verantwortung als Arbeitgeber auch nur im entferntesten gerecht zu werden. Man kann nur mutmaßen, wie die Verarbeitung von Transformatoren in Korea erfolgt.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden aufgrund der Komplexität der Sachverhalte auf verschiedenen Ebenen aktiv werden. Offensichtlich gab es bereits seit 2007 anonyme Hinweise zu Mängeln beim Arbeitsschutz in der Firma Envio, denen von der Bezirksregierung nachgegangen wurde. Wenn es tatsächlich so früh Hinweise auf einen unzureichenden Schutz der MitarbeiterInnen gab, ist das jetzige Ergebnis der Gesundheitsuntersuchungen umso erschütternder. Im Detail ist darzulegen, welcher Art die Beschwerden waren und welche Kontrollen daraufhin mit welchem Ergebnis durchgeführt wurden.

Als Leiterin des Gesundheitsamtes hat Frau Dr. Düsterhaus dafür zu sorgen, dass die gebotenen Blutuntersuchungen und die erforderliche Blutabnahmen unbürokratisch, zügig und ohne weitere peinliche Pannen abgewickelt werden, damit die betroffenen Beschäftigten und AnwohnerInnen vollständig und zeitnah wissen, woran sie sind. Gezielte Nachuntersuchungen auf Dioxine und Furane müssen folgen. Ebenso müssen allen, bei denen erhöhte Werte festgestellt worden sind, regelmäßige Untersuchungen angeboten werden. Im Ausschuss wollen wir auch eine vollständige Aufklärung über die Zahl der Festangestellten, der Leih- und der ZeitarbeiterInnen, die bei Envio seit 2007 beschäftigt waren. Alle müssen unverzüglich und vollständig über mögliche Risiken aufgeklärt werden.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden aber auch auf Landes- und Bundesebene aktiv werden. In jedem Fall muss das Auswärtige Amt eingeschaltet werden, um auch die Auslandsaktivitäten von Envio z. B. in Korea ins Visier zu nehmen. Wir werden auch auf Landesebene alles in die Wege leiten, um zu einer vollständigen Aufklärung der Vorgänge um Envio beizutragen. Dazu gehört unter anderem die Prüfung, ob die Bezirksregierung Arnsberg ihrer Aufsichtspflicht in ausreichendem Maße nachgekommen ist. Es muss auch darüber nachgedacht werden, Kontrollen von Firmen, die mit gefährlichen Stoffen arbeiten, zukünftig wesentlich zu verstärken. - Hier ist vor allen Dingen auch an unangemeldete Kontrollen ohne konkreten Anlass zu denken. Aktuell muss sichergestellt werden, dass alle Verursacher von PCB-Belastungen im Hafengebiet gefunden werden und alle Betriebe überprüft werden, die ggf. Material von Envio erhalten haben.

Auch auf kommunaler Ebene werden wir auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes NRW Akteneinsicht bei der Bezirksregierung, deren oberster Repräsentant anscheinend völlig abgetaucht ist und sich diesmal gar nicht für Dortmund interessiert, beantragen. Die bisherigen Informationen von den Behördenvertretern waren nur teilweise befriedigend und in einigen Punkten ausweichend. Von daher wollen wir uns selbst ein Bild von der Arbeit der Behörde machen.

 

 

Hintergrund:

Westfälische Rundschau vom 09.06.2010, Klaus Brandt
PCB-Skandal Erschreckende Blutwerte bei Envio-Mitarbeitern

Dortmund. Die ersten Befunde von Blutuntersuchungen im Zuge des Giftskandals im Hafen liegen der WR exklusiv vor. Sie fallen erschreckend aus. Zwei langjährige Envio-Mitarbeiter ließen sich auf eigene Kosten untersuchen - und haben deutlich erhöhte Mengen von krebsverdächtigem PCB im Körper. In der Spitze liegen die Werte fast um das 50-fache über den Toleranzen. Die Betroffenen sind erschüttert und wollen klagen.

Weil sie sich krank fühlten, gingen sie zum Arzt - die Männer, die vier bzw. drei Jahre in der PCB-Reinigung des Entsorgers geschafft haben. Ihre Blutwerte sind niederschmetternd. In allen sechs analysierten PCB-Untergruppen liegen sie über den Richtwerten. Der Jüngere, gerade 33, hat die höheren Giftbelastungen im Blut. Vom PCB 28, für das medizinisch schon 0,1 Mikrogramm pro Liter zuviel wäre, kommen bei ihm 4,7 Mikrogramm auf jeden Liter Blut. Bei den besonders gefährlichen hochchlorierten Verbindungen (PCB 138, 153, 180) übersteigen seine Werte die Toleranzen um das Siebenfache. Sein 44-jähriger Kollege ist kaum besser dran. Seine Giftanteile im Blut sprengen den PCB 28-Richtwert um das 30-fache.

Die beiden Betroffenen sind gezeichnet von den Befunden - physisch wie psychisch. „Ich bin fertig", sagt der 33-Jährige. Er sieht den Kinderwunsch mit seiner Frau gefährdet. Das Risiko der Zeugungsunfähigkeit oder möglicher Missbildungen beim Neugeborenen belastet die Ehe. Nackte Existenzängste klingen durch: „Bekomme ich Krebs? Wie abgesichert ist meine Frau, wenn ich nicht mehr da sein sollte? Wer zahlt die Folgekosten möglicher Krankheiten?"

Prof. Dr. Ellen Fritsche, Molekulartoxikologin an der Universität Düsseldorf, hält den Zusammenhang zwischen den PCB-Werten auf dem verseuchten Envio-Gelände und im Blut der Beschäftigten für eindeutig. „Es ist klar, woher das kommt. Der Mann hat da vier Jahre gearbeitet, offenbar unter schlechten Bedingungen", sagt sie. Ihre Vermutung: „Die Werte von Mitarbeitern benachbarter Firmen werden mit Sicherheit deutlich niedriger liegen." Käme es so - dann könnte die beiden Envio-Männer „die Firma zur Rechenschaft ziehen", so Prof. Fritsche. Das Gesundheitsrisiko für sie sei kaum absehbar, eine Heilung unmöglich. „Es gibt keine Therapie."
Dioxin-Test ratsam

Prof. Dr. Michael Wilhelm, Chef der Kommission Human-Biomonitoring (HBM) des Umweltbundesamtes, bestätigt das. Ob eine Krankheit folge, wenn ja: welche und wann - das könne für Tiere beantwortet werden, aber nicht für Menschen. Doch es gebe Unterschiede. PCB 28 werde „vielleicht in einem halben Jahr" vom Körper abgebaut, bei anderen Verbindungen „kann es Jahre dauern - vorausgesetzt, die Betroffenen sind keiner Belastung mehr ausgesetzt", so Prof. Wilhelm.

Die hochchlorierten PCB im Blut geben ihm zu denken. „Sie könnten auf Dioxine und Furane hinweisen." Sein Rat: eine gezielte Nachuntersuchung. Die kostet 650 Euro.

„Das Einzige, was den Betroffenen bleibt, sind regelmäßige Untersuchungen", sind sich beide Experten einig. Allemal dann, wenn Symptome vorliegen, so Prof. Fritsche. Bei dem 33-Jährigen ist das der Fall. Bei einem Arbeitsunfall schnitt sich ein PCB-belastetes Blech in seinen Arm. Aus der tiefen Wunde wuchs ein Abszess. Weitere folgten, an unterschiedlichen Stellen. Der 44-Jährige leidet vermehrt unter Hautausschlägen. Der Hinweis, das müsse nicht am PCB liegen, greife hier nicht, meint Prof. Fritsche. „Hier sprechen die Werte eine deutliche Sprache. Wenn man das veränderte Gesundheitsbild dokumentieren kann, sollte man die Firma in Regress nehmen." Hautveränderungen seien übliche Anzeichen für PCB-Schäden.

Die beiden Betroffenen beraten sich mit ihren Anwälten. „Wenn die Firma keine finanzielle Entschädigung anbietet, klage ich", sagt einer. Und der Andere: „Ich werde das auch tun."