Mario Krüger MdL

Sprecher für Kommunalpolitik,
Beteiligungen und Haushaltskontrolle

Plus Minus Normal Invert

28.06.2010: Envio-Mitarbeiter mit den höchsten jemals in Deutschland gemessenen PCB-Blutwerten

Der Giftskandal um die Dortmunder Entsorgungsfirma Envio AG weitet sich zur bundesweit größten PCB-Katastrophe der letzten Jahrzehnte aus. Das belegen die Unter­suchungsergebnisse von 30 Mitarbeitern des Unternehmens. Sie weisen dramatische PCB-Konzentrationen im Blut aus. In der Spitze liegen sie um mehr als das 25.000-fache über den Richtwerten. PCB gilt als krebserregend.

Trafos im Freien gelagert. Nach Aussagen wurde z.T. das PCB-haltige Öl im Freien entsorgtDie bei den MitarbeiterInnen von Envio festgestellten Blutwerte sind erschütternd und für die Betroffenen ein furchtbarer Schock, zumal es keine Therapie gibt, um Folgewirkungen sicher auszuschließen. Die Befunde sind schlimmer als alles, was man sich je vorstellen konnte. Die betroffenen MitarbeiterInnen brauchen alle erdenkliche Hilfe, um mit diesen vernichtenden Ergebnissen umgehen zu können. Sie brauchen Gesundheitsberatung, Gesundheitschecks, psychologische Beratung und rechtlichen Beistand, um ggf. gegen Envio vorgehen zu können.
Die Stadt muss vorläufig der erste Ansprechpartner sein, um die Betroffenen zu unterstützen. Parallel dazu muss alles getan werden, um aufzuklären, warum Envio nicht wesentlich früher ins Visier der Überwacher geraten ist.

Wie zynisch muss der Geschäftsführer eines Unternehmens sein, der öffentlich behauptet, dass er sich die erhöhten PCB-Werte immer noch nicht erklären kann, während interne Protokolle nahe legen, dass er alle Schlampereien und Missstände billigend in Kauf genommen hat. Wie kann er sich erdreisten, auf die betrieblichen Gesundheitsuntersuchungen zu verweisen, bei denen überhaupt nicht auf PCB untersucht wurde?

Die Firma ist -wie der Vorgänger ABB- kein kleiner Fisch auf dem weltweiten Entsorgungsmarkt. Umso unverständlicher ist es, dass es in einem Land mit hohen Umweltnormen möglich ist, über Jahre hinweg die Gesundheit von Menschen zu schädigen, ohne dass dies angesichts der vielen Regelungen zur Einhaltung von Normen aufgefallen wäre.                         

Es stellt sich die Frage welche Kontrollen die Bezirksregierung gegenüber Envio in den letzten Jahren vorgenommen hat. Es spricht Bände, dass es bereits im Januar Anlass gab, Envio stillzulegen und erst Monate später reagiert wurde. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob der Firma Envio die gewerberechtliche Zulässigkeit entzogen werden kann.

 

 

Weitere Informationen zum Thema Envio:

 

Westfälische Rundschau vom 28.06.2010, Klaus Brandt

Giftskandal: PCB-Blutwert bei Envio löst Wut und Angst aus

Dortmund. Der Giftskandal um die Dortmunder Entsorgungsfirma Envio, den die Westfälische Rundschau aufgedeckt hat, weitet sich zur bundesweit größten PCB-Katastrophe der letzten Jahrzehnte aus. Das belegen die Unter­suchungsergebnisse von 30 Mitarbeitern des Unternehmens. Sie weisen dramatische PCB-Konzentrationen im Blut aus. In der Spitze liegen sie um mehr als das 25.000-fache über den Richtwerten. PCB gilt als krebserregend.

Bruchstücke. Fetzen. Mehr gibt die Stimme des 29-Jährigen nicht her. Er hat sein Handy am Ohr. Am anderen Ende: die Freundin. „Hallo", flüstert er, „ja...ich hab sie ...nicht gut...weiß nicht...die Anderen auch...ganz schlecht ...haben sie nicht gesagt...ich komm später...tschüss". Ein Protokoll der Zerrissenheit. Der junge Mann hält seinen Blutbefund in der Hand. Er weiß nicht, was das alles bedeuten soll. Und wie lange er noch so gesund ist wie heute.

Zu sechst haben sie sich getroffen, hinter dem Dortmunder Hafenamt - die Männer, die gerade noch in der Envio-Betriebsversammlung saßen. Sie haben es da nicht mehr ausgehalten, „mussten hier raus". Mit hochrotem Kopf und quietschenden Reifen sind sie abgehauen, haben laut geflucht in Richtung des Medienpulks vor dem Werkstor. 30 Minuten später fühlen sie sich klitzeklein. „Die haben so einen Scheiß erzählt, uns gefragt, ob wir rauchen oder Fisch essen. Weil auch Rauchen gesundheitsschädlich ist und Fische PCB speichern", sagt einer und schüttelt den Kopf. „Ich esse einmal im Jahr Fisch. Aber ich habe vier Jahre bei Envio gearbeitet."

Im Halbkreis stehen sie da, die Zettel in der Hand, und vergleichen ihre Giftwerte. „Was hast Du in PCB 52?", fragt einer. „Ich hab viel weniger." Eine gespenstische Szene. Sie erinnert an Notenvergleiche nach Schulzeugnissen. Nur dass es hier um Gift geht. Um Leib und Leben.

Der Kollege neben ihm schildert, wie es gelaufen ist im „Roten Saal" von Halle 70, in den die Firma geladen hatte. „Erst hat Betriebsärztin Dr. Kleine gesprochen, dann Dr. Hagmann vom Landesinstitut. Sie haben gesagt, dass die Werte schlimm wären. Dass sie sich das nicht erklären können. " - „Nur Schönrednerei!" ruft einer rein. „Das ist ein abgekartetes Spiel." Kein Zweifel: Für die Betroffenen stecken die Übermittler der Schreckensbotschaft mit dem Verursacher unter einer Decke. „Die haben das alles mitgemacht, jahrelang."

Eine Stunde später: Pressekonferenz im Gebäude der Bezirksregierung. Außer Zahlen, schlimmen Zahlen, kommen auch hier nur inhaltliche Bruchstücke ans Ohr. „Damit hätten wir nicht gerechnet. Nicht in dieser Höhe", sagt Landesgewerbearzt Dr. Michael Hagmann „mit Sorge erfüllt". Ein „historischer Einschlag" sei das. 21 Jahre steht er im Dienst des Landes NRW, aber eine derart dramatische Überschreitung der Richtwerte - „so etwas hat es bisher noch nicht gegeben, auch bundesweit nicht".

Für Hagmann ist es „relativ klar", dass die Envio-Mitarbeiter „den Großteil der Gifte eingeatmet" haben. Auch über die Haut und oral könnten sie in die Körper eingedrungen sein. Doch was das alles heißt für die Betroffenen, das wissen auch die Experten nicht. Es gibt Referenzwerte zuhauf, aber kein einziger sagt auch nur irgendetwas darüber aus, welche PCB-Menge im Blut sich wann auswirkt - und wie.

Krebsgefahr, Leberschaden, Impotenz, Missbildung bei Kindern?
Die verstörten Seelen am Hafenamt haben sich informiert. Einer erzählt, was er im Internet gefunden hat: „Wir können alle Krebs kriegen. Die Leber kann kaputtgehen. Oder das Immunsystem. Impotenz, Missbildungen bei Kindern. PCB geht sogar in die Muttermilch." Das ist das Stichwort. Der Name eines Kollegen fällt. „Der war nicht da. Der hat seine Werte noch gar nicht. Ist die Freundin von dem nicht schwanger?" Angst und Sorge sind fast mit Händen zu greifen. Auch die Wut, blanke Wut. „Die beiden Firmenchefs waren auch da. Sie haben kein Wort gesagt", sagt einer. „Feige. So feige sind die." Die geballte Faust zeigt an, welche Quittung er der Envio-Geschäftsleitung am liebsten präsentieren würde. Noch ein Name fällt, einer aus der erweiterten Führungsriege. „Der war gar nicht da. Gut für ihn, sonst..." - wieder die Faust.

Im Regierungsgebäude köchelt das Gemisch aus Zorn und Ungewissheit kontrollierter. „Die gesundheitlichen Folgen sind nicht vorhersehbar", sagt Hagmann. Und: „Eine Behandlung können wir nicht empfehlen, weil es keine anerkannte Form gibt." Jeder einzelne Betroffene bekomme erst einmal eine persönliche Beratung. Jeder werde jetzt auch auf Dioxine und Furane untersucht. Im schlimmsten Fall schlummern auch diese beiden Ultra-Gifte in den Körpern der Envio-Mitarbeiter. Spuren des Dioxin-ähnlichen PCB 118 hat das Erlanger Labor laut Hagmann schon nachgewiesen.

„Meine Gedanken sind bei den Betroffenen und ihren Angehörigen", sagt Dr. Annette Düsterhaus, Leiterin des Gesundheitsamtes. Mitgefühl wie nach einem Sterbefall. Die Gedanken der Envio-Männer drehen sich wie Kreisel - vom Kopf in den Bauch und wieder zurück. „Was wird aus mir? Meiner Zukunft, meiner Freundin, meiner Familie." Der 29-Jährige zieht sich aus dem Kollegenkreis zurück. Er ruft noch mal seine Liebste an. „Sie weint", sagt er. „Ihr geht's genauso dreckig wie mir."

 

 

Westfälische Rundschau vom 02.07.2010, Klaus Brandt

Anwohner-Sorgen: Envio-Gelände schon früher PCB-verseucht

Dortmund. Das Envio-Gelände im Dortmunder Hafen war offenbar schon früher mit PCB belastet. Weder die Stadt noch die Bezirksregierung seien damals - entgegen der Vorschrift - informiert worden. Zudem sorgen sich die Anwohner im Hafen.

Die Berichterstattung über PCB-verseuchte Böden im Hafen und hohe PCB-Werte auf dem Envio-Gelände hat die Bewohner im Hafen-Quartier aufgeschreckt. Seitens der Behörden seien laut Quartiersmanagement Nordstadt-Hafen Meldungen zwischen Alarmbereitschaft und Beruhigung zu vernehmen. Verschiedene Informationsveranstaltungen wurden inzwischen zu diesem Thema im Hafenviertel durchgeführt. Jedoch gebe es weiterhin viele Anwohner, die von den PCB-Vorfällen nur wenig wissen.

Aus diesem Grund hatte das Quartiersmanagement auf Bitten der Bewohner aus dem Hafenviertel dieses Thema in einem Nachbarschaftsforum aufgegriffen. Bereits im Vorfeld der Versammlung gründete sich eine Bewohnerinitiative mit dem Ziel, dass die Bewohner/innen des Hafenviertels besser informiert werden.

Kleingärtner verunsichert: Thomas Scherer als Vorsitzender des Kleingartenvereins Hafenwiese sagte bei dem Forum, dass seine Mitglieder verunsichert seien und sich von den Ämtern im Stich gelassen fühlen. Viele würden in ihren Kleingärten wegen den hohen Belastungen nichts mehr anbauen. Viele der Teilnehmer hätten ihm zugestimmt und von der Stadt gefordert, Blutproben auch für die Bewohner möglich zu machen.

Zudem werde zurzeit ein Anforderungskatalog erstellt, der u.a. die sofortige Schließung und strafrechtliche Verfolgung der Firma Envio beinhaltet. Die Initiative trifft sich wieder am 7. Juli um 18.30 Uhr im Quartiersbüro Hafen in der Schützenstraße 42.

Belastungen und Sanierung 2007:
Zudem sorgte eine Mitteilung der Stadt Dortmund am Donnerstagabend für Aufsehen. Das Envio-Gelände war laut einem bislang unbekannten Gutachten bereits 2007 mit PCB verseucht. Über die folgende Sanierung zum Jahreswechsel 2007/08 wurden weder die Stadt Dortmund noch die Bezirksregierung als Aufsichtsbehörden informiert. Dies sei, so berichtet der Dortmunder Radiosender 91.2, aber „melde- und genehmigungspflichtig". Alls dies wurde auch der ermittelnden Staatsanwaltschaft mitgeteilt, die dem Verdacht auf vorsätzliche Luft- und Bodenverunreinigung in einem besonders schweren Fall sowie der gefährlichen Körperverletzung nachgehe.

Für Dortmunds Umwelt- und Rechtsdezernent Wilhelm Steitz ist das Vorgehen von Envio im Zusammenhang mit der jetzt bekannt erst gewordenen PCB-Verseuchung von 2007 genauso „böswillig" wie der aktuelle Skandal. Die unterlassene Information stelle nur eine Ordnungswiedrigkeit dar, sagte Oberstaatsanwältin Dr. Ina Holznagel auf Nachfrage des Radiosenders.

Der Mitteilung zu Folge ging dem städtischen Umweltamt nun am 6. Mai ein Lageplan mit Analyse­befunden aus einem bis dato unbekannten Sanierungsbericht aus dem Jahr 2007 zu, der „erhebliche PCB-Belastungen" auf dem heutigen Envio-Gelände dokumentiert. Die Stadt habe wiederum umgehend die Bezirksregierung informiert. Zugleich habe das Umweltamt bei der ehemaligen Mieterin des Betriebsgeländes und Auftraggeberin des Berichtes, der ABB GmbH, die bislang noch nicht vorliegenden Gutachten angefordert.

Gutachten und Berichte
Am 7. Juni habe ein Gutachterbüro der Unteren Bodenschutzbehörde fünf weitere Berichte aus den Jahren 2002 bis 2007 übergeben, „die u.a. Kohlenwasserstoff-Kontaminationen im Zusammenhang mit einem stillgelegten Heizöltank behandeln", so die Stadt. Der Sanierungsbericht sowie das der Sanierung zugrunde liegende Gutachten hätten sich nicht darunter befunden. Während der Sanierungsbericht dem Umweltamt inzwischen über Bezirksregierung bzw. Staatsanwaltschaft zugegangen sei, liege das Gutachten immer noch nicht vor.

Am Donnerstag habe die Bezirksregierung dem Umweltamt zwei weitere bislang unbekannte Kurzberichte zugestellt, die von dem berichterstattenden Gutachterbüro zur Verfügung gestellt worden seien. Die Berichte würden derzeit ausgewertet, heißt es. Die Stadt werde die Bezirksregierung bitten, „die politischen Gremien und die Öffentlichkeit zu unterrichten, sobald die Auswertung der bisher nur unvollständig vorliegenden Unterlagen belastbare Aussagen zulässt", so Stadtsprecher Udo Bullerdieck.

 

Westfälische Rundschau vom 05.07.2010, Klaus Brandt

PCB-Giftskandal: Stadt will Envio Erlaubnis für Gewerbe entziehen

Dortmund. Im Fall der Skandalfirma Envio hat die Stadt Dortmund nun ein Gewerbeuntersagungsverfahren nach Gewerbeordnung eingeleitet. Es richtet sich gegen die Envio Germany Geschäftsführungs GmbH und deren Geschäftsführung. Beide haben bis zum 20. Juli Gelegenheit, sich zu den Vorhaltungen zu äußern.

Die Stadtverwaltung begründet diesen Schritt mit den aktuell bekannt gewordenen PCB-Kontaminationen des Betriebsgeländes und der Hallen auf dem Betriebsgelände, der Betriebsgelände in unmittelbarer Nachbarschaft des Unternehmens sowie vor allem den alarmierenden PCB-Werten im Blut der Beschäftigten des Unternehmens. Das sei nur durch kontinuierliche, grobe Verstöße gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung der Anlage und eine nicht zu tolerierende Missachtung von Sicherheitsvorkehrungen zu erklären, so die Stadt.

Weiter wird auf eine erst jüngst bekannt gewordene gutachterliche Stellungnahme der Terra Umwelt Consulting GmbH vom 25. April 2007 Bezug genommen, die von der ABB Grundbesitz GmbH als Vermieterin in Auftrag gegeben worden war. Danach mussten schon damals erhebliche PCB-Belastungen durch aufwändige Sanierungs- und Entsorgungsmaßnahmen beseitigt werden, ohne dass die Untere Bodenschutzbehörde einbezogen worden wäre. Zudem hätten die Feststellungen der Terra bei Envio offenkundig nicht zu einer nachhaltigen Veränderung im Umgang mit dem toxischen PCB geführt.

Aufgrund all dieser Tatsachen geht die Stadtverwaltung davon aus, dass sowohl die GmbH als auch deren Geschäftsführung nicht über die notwendige gewerberechtliche Zuverlässigkeit für das Recycling PCB-haltiger Geräte, die PCB-Dekontamination und die PCB-Entsorgung verfügen.

 

 

Kommentar von Klaus Brandt, 02.07.2010, Westfälische Rundschau

Einsturzgefahr 

Es wird immer enger für Envio. Es knarrt und knackt immer lauter in dem Lügengebälk, das sich die Giftfirma selbst gezimmert hat.

Die Beweise, die jetzt neu auf dem Tisch liegen, eröffnen den Ermittlern ganz andere Möglichkeiten. Vor allem der Staatsanwaltschaft. Die hatte bisher zumeist mündliche und schriftliche Aussagen gegen Envio in der Hand - zu wenig, um darauf eine stabile Anklage zu stützen. Jetzt kommt weitaus belastenderes Material ins Spiel. Die PCB-verseuchten Trafoteile, die der Entsorger als gereinigt verkaufte - sie verbinden eine Umweltstraftat mit einem Betrugsdelikt. Dass unter der Lieferbescheinigung nicht irgendeine Unterschrift steht, sondern die von Envio-Chef Dr. Dirk Neupert höchstpersönlich, dürfte ein nicht unwesentliches Detail im weiteren Verfahren sein.

Die Opfer der Giftfirma, in diesem Fall die beiden Dortmunder Kunden, haben längst ihre Anwälte aktiviert. Jetzt werden sorgfältig die Regressforderungen taxiert, anschließend Klagen geschrieben. Der Kampf ums Geld wird nicht allzu lange dauern. So viel Bares, wie bald von unterschiedlichsten Seiten gefordert wird, dürfte kaum da sein. Und es geht offenbar alles auf die Rechnung von Envio. ABB scheint durch das Gutachten aus dem Spiel, das der Weltkonzern bei seinem Abschied aus Dortmund fertigen ließ. Es könnte jenes Gewicht sein, das das Lügengebäude zum Einsturz bringt.