Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) vom 24.11.2010, Michael Kohlstadt
Stadtpolitik: 24 Prozent mehr Mitglieder bei Dortmunds Grünen
Dortmund.
Die Zahl der Grünen in Dortmund ist sprunghaft gestiegen. In den
letzten sechs Monaten konnte die Umweltpartei 60 Neu-Mitglieder
begrüßen. Das entspricht einer Steigerung von 24 Prozent. Die Dortmunder
Grünen sind jetzt zweitgrößter Kreisverband im Revier
Umfragen?
„Umfragen sind keine Wahlergebnisse", weiß Hilke Schwingeler. Die
Vorsitzende des grünen Kreisverbandes bleibt angesichts der jüngsten
Prognosekurven, die die Grünen bundesweit schon auf dem Weg zur
Volkspartei sehen, mal lieber auf dem Teppich. Dennoch verspürt
Schwingeler deutliche Signale, dass der grüne Höhenflug auch Dortmund
erfasst hat - selbst wenn es aktuell weder Umfragen noch Wahlen gibt,
die das bestätigen könnten.
310 Grüne - und 8736 Genossen
Belastbare
Fakten gibt es dennoch. In den letzten sechs Monaten stieg die
Mitgliederzahl des Kreisverbandes um satte 24 Prozent - ein Wert, von
dem andere Parteien nur träumen können. Zwar relativiert sich der Boom,
wenn man die absoluten Zahlen betrachtet. 60 neue Mitglieder sind eher
ein bescheidener Wert im Reich des nach wie vor größten deutschen
SPD-Unterbezirks: Auf aktuell 310 Grüne kommen exakt 8736 Genossen. Doch
die Herzkammer der Sozialdemokratie pocht längst nicht mehr so stark,
die sozialdemokratische Hausmacht ist nur noch ein Abglanz alter
Herrlichkeiten.
Stark in den Städten
Die Grünen
sind in den Großstädten stark - besonders außerhalb des Ruhrgebietes:
Größter Kreisverband ist München (1000 Mitglieder), gefolgt von Köln
(930). Stuttgart (780) zählt bei nur leicht höherer Einwohnerzahl mehr
als doppelt so viele Grüne wie Dortmund. Im deutlich kleineren, aber
stark studentisch geprägten Münster hat die Umweltpartei immerhin 448
Mitglieder. Größter Kreisverband im Revier ist Essen (380), gefolgt von
Dortmund (310) und Duisburg (296).
Zum Vergleich: Aktuell 8736
Dortmunder haben ein SPD-Parteibuch. Die CDU kommt auf 2200 Mitglieder,
die FDP auf 250, die Linke auf 370.
Aber auch die Grünen standen
schon mal besser da - vor Afghanistan. Aus Protest gegen den
Bundeswehreinsatz am Hindukusch gaben viele Dortmunder Grüne ihr
Parteibuch zurück. „Nun haben wir den Stand von vor 2001 fast wieder
erreicht", meldet Kreisverbandsgeschäftsführerin Martina Müller. Auch
weil es aufwärts geht mit der Umweltpartei, sind die Grünen jetzt
umgezogen. Die Geschäftsstelle an der Ruhrallee platzte aus allen
Nähten. Nun fand man größere Räumlichkeiten am Königswall/ Gnadenort.
„In der Mitte der Gesellschaft angekommen"
Das
aktuelle Oberwasser der Grünen erklärt Hilke Schwingeler so: „Grünes
Gedankengut ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen." Erhärtet wird
diese These durch die Berufsbilder der 60 Parteinovizen:
Orthopädiemeister sind darunter, Hochschullehrer, Rettungssanitäter,
Juristen, Hausfrauen, ein Anstreicher.
Kaum verwunderlich
übrigens, wie Schwingeler über die Dortmunder Politik denkt. Ein
„trauriges Bild" gebe die derzeit ab. SPD und CDU wirkten im Rat als
unausgesprochene große Koalition, beide Fraktionen lebten quasi in
„wilder Ehe". „Ein Ringen um politische Mehrheiten findet nicht statt."
Nach der rot-grünen Scheidung sieht Schwingeler die Grünen als
Opposition, „die Verantwortung für die Stadt" trage - nicht als
„Dagegen-Partei".
Eine solide grüne Machtoption zeichnet sich
aber nicht ab. Die Frage, wann man wieder auf die SPD zugehen oder ob
man es mit der CDU versuchen könnte, beantwortet die Parteichefin
ausweichend: „Ich wünsche mir, dass die Akteure sich so entwickeln, dass
so etwas möglich ist."
Hintergrund: Stark in den Städten
Die Grünen sind in den Großstädten stark - besonders außerhalb des Ruhrgebietes:
Größter
Kreisverband ist München (1000 Mitglieder), gefolgt von Köln (930).
Stuttgart (780) zählt bei nur leicht höherer Einwohnerzahl mehr als
doppelt so viele Grüne wie Dortmund. Im deutlich kleineren, aber stark
studentisch geprägten Münster hat die Umweltpartei immerhin 448
Mitglieder. Größter Kreisverband im Revier ist Essen (380), gefolgt von
Dortmund (310) und Duisburg (296).
Zum Vergleich: Aktuell 8736
Dortmunder haben ein SPD-Parteibuch. Die CDU kommt auf 2200 Mitglieder,
die FDP auf 250, die Linke auf 370.
Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) vom 25.11.2010
Kommentar von Michael Kohlstadt: Fehlerfrei bis 2014
Eine
Volkspartei sind die Grünen nicht. Den alten Höchststand von über 300
Mitgliedern annähernd wieder erreicht zu haben, ist ein schöner Erfolg,
aber kein Grund zum Jubeln. Die Zahl ist einfach zu niedrig, um
tiefgestaffelt in die Stadtgesellschaft hinein wirken zu können. Auf
diesem Gebiet bleiben die Genossen vorerst unerrreicht.
Im
urbanen Großstadt-Mileu fühlte sich die Umweltpartei zwar schon immer
schnell heimisch. Doch das gelang in anderen Regionen schlichtweg besser
als in den sozialdemokratisch dominierten Kommunen an der Ruhr.
Allerdings
haben die Grünen langfristig die wohl besten Entwicklungschancen aller
in Dortmund vertretenen Parteien. Das zeigt nicht nur der Blick auf die
Wahlergebnisse der letzten Jahre. Sollte den Grünen im nächsten Jahr der
Sprung an die Spitze einer Landesregieung gelingen (Berlin,
Baden-Württemberg), könnte das eine ungeahnte Dynamik auslösen.
Der
größte Grünen-Bonus aber dürfte sein: Bleibt die Partei bis zum Ende
der Ratsperiode in der Opposition, kann sie - ganz anders als SPD und
CDU - bis 2014 kaum Fehler machen.