Mario Krüger MdL

Sprecher für Kommunalpolitik,
Beteiligungen und Haushaltskontrolle

Plus Minus Normal Invert

04.12.2009: Konsequenzen des Rechtsgutachtens zur Wahlwiederholung, Grüne sprechen sich für eine Wiederholung der Dortmunder Kommunalwahlen aus

Die GRÜNEN werden in der kommenden Woche im Wahlprüfungsausschuss und im Rat den Einwänden gegen die Kommunalwahl zustimmen und für eine Wiederholung aller Wahlen - Oberbürgermeister, Rat und Bezirksvertretungen - votieren. Das ist das Ergebnis der Beratungen des GRÜNEN Kreisvorstands am Donnerstagabend unter Beteiligung der GRÜNEN Fraktionen im Rat und den Bezirksvertretungen. Hierzu stellen Kreis- und Fraktionsvorstand fest:

Jetzt ist der Wahlbetrug amtlich. Das Ergebnis des von allen Fraktionen im Rat - auch der SPD - in Auftrag gegebene unabhängigen Rechtsgutachtens ist ein schwerer Schlag für alle diejenigen, die bisher der Auffassung waren, bei der Kommunalwahl sei alles mit rechten Dingen zugegangen. Das Ergebnis deckt sich mit unserer bisherigen politischen Bewertung der Vorgänge. Das erfüllt uns allerdings nicht mit Genugtuung. Denn das Gutachten macht deutlich, dass durch bewusste Falschinformationen und Unterlassungen vor der Kommualwahl durch die damalige Verwaltungsspitze die politische Kultur in Dortmund einen schweren Schaden erlitten hat, der weit über unsere Stadt hinaus von Bedeutung ist.

Leidtragende sind zu allererst die Bürgerinnen und Bürger, die auf einer Informationsgrundlage wählen mussten, die nicht der Realität entsprach. Leidtragende sind auch die vielen MandatsträgerInnen in Rat und Bezirksvertretungen, die jetzt feststellen müssen, dass ihrer Wahl ohne eigene Schuld nun die Legitimität fehlt.

Wir haben als GRÜNE in den letzten Wochen immer wieder deutlich gemacht, dass wir unser Abstimmungsverhalten im Wahlprüfungsausschuss und im Rat neben der politischen Bewertung auch von den Empfehlungen des Gutachtens abhängig machen werden. Wir werden deshalb in der nächsten Woche für eine Wiederholung aller Wahlen stimmen. Nur durch diesen Schritt können die verloren gegangene Glaubwürdigkeit und die politische Kultur in Dortmund wieder hergestellt werden. Wir appellieren an alle anderen Fraktionen und insbesondere an die SPD, diesen Schritt mit zu gehen. Wir begrüßen, dass Oberbürgermeister Ullrich Sierau mit seiner heutigen Erklärung den Weg frei macht für eine Wiederholung der OB-Wahl und sich ebenfalls für eine Wiederholung der Wahlen des Rates und der Bezirksvertretungen ausspricht.

Das Gutachten von Prof. Dr. Beckmann zeigt klar auf, wie das Verhalten insbesondere des ehemaligen Oberbürgermeisters zu bewerten ist. Es ist eine Geschichte von Desinformation, Ver-schleierung und Bagatellisierung mit möglicherweise entscheidendem Einfluss auf die Kommunalwahlen. Selbst uns als damaligem Koalitionspartner ist dabei nicht der wahre Zustand der städtischen Finanzen präsentiert worden. Uns unbekannt war bis jetzt auch die Tatsache, dass dem ehemaligen OB noch am 29. Juli ein Zeitplan zur Einbringung eins Nachtagshaushaltes vor der Kommunalwahl vorlag, den er vom Tisch gewischt hat.

Aus unserer Sicht ist das Gutachten von Prof. Dr. Beckmann objektiver und plausibler als das von Prof. Dr. Bätge im Auftrag der sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik erstellte Papier. Ein Beispiel mag dafür als Beleg dienen: Das Beckmann-Gutachten weist darauf hin, dass bei einer Besprechung am 11. August die damalige Kämmerin und der Abteilungsleiter vom Stadtamt 20 im Gespräch mit dem damaligen OB eine Nachtragssatzung vorgeschlagen haben. Der OB - so das Gutachten - sei dem Vorschlag nicht gefolgt. Demgegenüber heißt es im Bätge-Gutachten der SPD lapidar: „In der Besprechung wurde entschieden, dass die Prognosen keine Nachtragssatzung rechtfertigen würden." Mit dieser Formulierung wird der Eindruck erweckt, als sei man sich einig gewesen, dass kein Nachtrag notwendig sei, weil der Haushaltsausgleich objektiv nicht gefährdet gewesen sei. Es wird verschwiegen, dass Kämmerin und Abteilungsleiter explizit anderer Meinung waren.

Das für unsere Bewertung maßgebliche Gutachten ist deshalb das von Herrn Beckmann, das bekanntlich von allen Fraktionen gemeinsam in Auftrag gegeben wurde. Auf Intervention der SPD wurde dabei Prof. Dr. Beckmann als Gutachter ausgewählt. Wir sind gespannt, ob und wie sich andere Fraktionen nun den eindeutigen Empfehlungen entziehen wollen.

Aus Sicht der GRÜNEN sind die Aussagen des Beckmann-Gutachtens darüber hinaus in vielfacher Hinsicht überzeugend und nachvollziehbar:

● Der Gutachter misst den Unterlagen, die von der Kämmerin mit Schreiben vom 29.05.09 an Oberbürgermeister Langemeyer und Stadtdirektor Sierau versandt wurden, maßgebliche Bedeutung bei. Auch aus GRÜNER Sicht enthalten die Unterlagen wesentliche Informationen, über die der Rat und die Öffentlichkeit hätten informiert werden müssen.

● Der Gutachter führt aus, dass es zur Wahrung der Rechte des Rates darauf ankommt, dass der Rat so rechtzeitig informiert wird, dass er seiner Entscheidungsverantwortung und seiner Kontrollfunktion gerecht werden und die aus seiner Sicht notwendigen Beschlüsse rechtzeitig fassen kann. Rechtzeitig bedeutet, dass über notwendige Sparmaßnahmen über die Inanspruchnahme der Ausgleichsrücklage und über den Erlass einer Nachtragssatzung vom Rat entschieden werden kann.

● Der Grundsatz der Wahlfreiheit gebietet es darüber hinaus, den Wählern die für ihre Wahlentscheidung unerlässlichen Informationen zur Verfügung zu stellen. Eine unerlässliche Information wäre in der Tat ein zu beschließendes Paket von Sparmaßnahmen ge-wesen, wie es aktuell anlässlich der Beratungen zum Nachtraghaushalt vorgelegen hat. Darüber hätte es mit Sicherheit konfrontative Auseinandersetzungen und unterschiedliche Reaktionen in der Bevölkerung gegeben.

● Die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Oberbürgermeister seiner Informationspflicht hätte genügen müssen, ist vom Gutachter ebenfalls eindeutig beantwortet worden. Die Informationspflicht besteht nämlich dann, wenn sich eine Gefährdung des Haushaltsausgleiches abzeichnet und nicht, wenn sie schon eingetreten ist. Diese Gefährdung zeichnete sich bereits Ende Mai 2009 ab.

● Auch die Ausführungen zum Begriff der Unverzüglichkeit überzeugen.

So ist es auch aus unserer Sicht mehr als fragwürdig, eine wahlrelevante Thematik für eine Ratssitzung vorzusehen, die erst nach der Wahl stattfinden wird. Die Kämmerin hatte dagegen bereits am 29.07.2009 eine Sondersitzung des Rates vorgeschlagen. Der Gutachter geht noch weiter und vertritt die Auffassung, dass der Rat bereits in der regulären Sitzung am 25.06. hätte informiert werden müssen, um der Pflicht zur unverzüglichen Unter-richtung zu genügen. Dieser Auffassung können wir uns nur anschließen. Die Ausführungen zur Ergebnisrelevanz lassen letztlich keinen anderen Schluss zu als einer Wahlwiederholung zuzustimmen. Auch die Frage der Notwendigkeit einer Wahlwiederholung von Rat und Bezirksverteretungen sind zweifelsfrei beantwortet, da es nicht darauf ankommt, ob die Wahlbeeinflussung vom Kandidaten selbst ausgeht.

 

 

Kommentar: Kurz vor dem Rubicon
Westfälische Rundschau vom 04.12.2009, Gregor Beushausen

SPD-OB Ullrich Sierau hat die einzig richtige Entscheidung getroffen und den Weg für eine Neuauflage der Oberbürgermeister-Wahlen freigemacht.

Es war allerhöchste Zeit und er dem Rubicon schon bedenklich nahe: Seit das erstaunlich eindeutige Gutachten des Münsteraner Rechtsanwaltes Prof. Martin Beckmann vorliegt, ist der Druck von Tag zu Tag gestiegen, sich einem neuen Urnengang nicht zu verschließen. Zumal sich schnell abzeichnete, dass die Mehrheit der Ratsfraktionen kommenden Donnerstag in genau diesem Sinne entscheiden wird. Dass Regierungspräsident Helmut Diegel (CDU), der einer staatlichen, der Neutralität verpflichteten Mittelbehörde vorsteht, zusätzlich Feuer unter dem Kessel macht, indem er Sierau öffentlich auffordert, den Weg frei zu geben, kommt für die Dortmunder zwar nicht überraschend. Wirft aber langsam die Frage auf, wie ungeniert politisch dieser Regierungspräsident eigentlich agieren darf. Auch, wenn er in der Sache Recht hat.

Sierau bleibt gar nichts übrig, als die Flucht nach vorn anzutreten. Noch besser hätte ihm freilich zu Gesicht gestanden, er hätte diesen Befreiungsschlag früher gelandet, ohne die beiden Gutachten abzuwarten. Hätte er noch länger gezögert - den Nimbus des Getriebenen wäre er nicht mehr losgeworden.

Und die SPD? Dortmunds Sozialdemokraten diskutieren lieber intern - und bleiben nach außen sprachlos -, statt sich so schnell wie möglich den Forderungen aller anderen Fraktionen nach einer Wahlwiederholung im Sinne der politischen Hygiene anzuschließen. Es spricht Bände, dass SPD-Rathauschef Ernst Prüsse gedanklich auf dem Wege war, gegen einen solchen Ratsbeschluss zu klagen - und erst von Sierau eingefangen werden musste. Die Genossen dürfen sich nicht wundern, wenn angesichts solcher Vorgänge das alte Diktum von der „Arroganz der Macht" fröhliche Urständ feiert. Nicht weniger irritierend erscheint der Umstand, dass sich SPD-OB-Kandidat Sierau gestern allein ins Schaufenster der Öffentlichkeit stellte - die Parteispitzen aber durch Abwesenheit glänzten. So liefern die Genossen all jenen Schmierstoff, die mit Blick auf die Rolle von Jörg Stüdemann, über den grünen Klee gelobter Interims-Kämmerer und vormaliger SPD-interner Gegenkandidat von Sierau, bereits munter über Ränkespiele und Intrigen spekulieren. Auch Sierau bleibt das dunkle Geraune keineswegs verborgen.

Die OB-Wahl, deren Wiederholung so gut wie feststeht (vermutlich im 1. Quartal 2010) ist das eine. Die andere ist die erneute Ratswahl. Es liegt auf der Hand, dass einzelne Mandatsträger, egal welcher politischen Couleur sie angehören, bei einer Neuauflage auch der Ratswahl zittern, der Wähler könnte ihnen sein erst kürzlich ausgestelltes Ticket wieder entziehen. Und natürlich hat jeder der gewählten Ratsvertreter das Recht, sich vor dem Verwaltungsgericht zu beschweren, sollte er vom Stadtparlament gezwungen werden, sich erneut dem Wählervotum zu stellen.

Das Signal, das allerdings von einer solchen Klage ausginge, wäre fatal. Für das Ansehen der Politik insgesamt und ganz allmählich auch für diese Stadt, die einmal mehr mit unrühmlichen Schlagzeilen von sich reden macht. Eine Verantwortung, der sich jeder einzelne bewusst sein sollte - auch derjenige, der behauptet, vom Langemeyerschen Versteckspiel um die dramatisch schlechter wer-denden Haushaltszahlen nichts gewusst zu haben. Geahnt, dass die Finanzen zum Zeitpunkt der Kommunalwahl längst aus dem Ruder gelaufen waren, haben es mehr oder weniger alle, die im Rat sitzen. Nur: Allzu genau nachfragen und nachhaken - das wollte kurz vor dem Urnengang dann lieber doch niemand.

Und der Hauptakteur der ganzen unglückseligen Posse, Ex-OB Dr. Gerhard Langemeyer? Der sieht sich das Schauspiel von der Tribüne an, nimmt weiterhin sein gut dotiertes Aufsichtsratsmandat bei RWE wahr und spricht dort für die SPD. Es ist nicht mehr zu fassen.