Die GRÜNEN werden in der kommenden Woche im Wahlprüfungsausschuss und im Rat den Einwänden gegen die Kommunalwahl zustimmen und für eine Wiederholung aller Wahlen - Oberbürgermeister, Rat und Bezirksvertretungen - votieren. Das ist das Ergebnis der Beratungen des GRÜNEN Kreisvorstands am Donnerstagabend unter Beteiligung der GRÜNEN Fraktionen im Rat und den Bezirksvertretungen. Hierzu stellen Kreis- und Fraktionsvorstand fest:
Jetzt ist der Wahlbetrug amtlich. Das Ergebnis des von allen
Fraktionen im Rat - auch der SPD - in Auftrag gegebene unabhängigen
Rechtsgutachtens ist ein schwerer Schlag für alle diejenigen, die bisher
der Auffassung waren, bei der Kommunalwahl sei alles mit rechten Dingen
zugegangen. Das Ergebnis deckt sich mit unserer bisherigen politischen
Bewertung der Vorgänge. Das erfüllt uns allerdings nicht mit Genugtuung.
Denn das Gutachten macht deutlich, dass durch bewusste
Falschinformationen und Unterlassungen vor der Kommualwahl durch die
damalige Verwaltungsspitze die politische Kultur in Dortmund einen
schweren Schaden erlitten hat, der weit über unsere Stadt hinaus von
Bedeutung ist.
Leidtragende sind zu allererst die Bürgerinnen
und Bürger, die auf einer Informationsgrundlage wählen mussten, die
nicht der Realität entsprach. Leidtragende sind auch die vielen
MandatsträgerInnen in Rat und Bezirksvertretungen, die jetzt feststellen
müssen, dass ihrer Wahl ohne eigene Schuld nun die Legitimität fehlt.
Wir
haben als GRÜNE in den letzten Wochen immer wieder deutlich gemacht,
dass wir unser Abstimmungsverhalten im Wahlprüfungsausschuss und im Rat
neben der politischen Bewertung auch von den Empfehlungen des Gutachtens
abhängig machen werden. Wir werden deshalb in der nächsten Woche für
eine Wiederholung aller Wahlen stimmen. Nur durch diesen Schritt können
die verloren gegangene Glaubwürdigkeit und die politische Kultur in
Dortmund wieder hergestellt werden. Wir appellieren an alle anderen
Fraktionen und insbesondere an die SPD, diesen Schritt mit zu gehen. Wir
begrüßen, dass Oberbürgermeister Ullrich Sierau mit seiner heutigen
Erklärung den Weg frei macht für eine Wiederholung der OB-Wahl und sich
ebenfalls für eine Wiederholung der Wahlen des Rates und der
Bezirksvertretungen ausspricht.
Das Gutachten von Prof. Dr. Beckmann zeigt klar auf, wie das
Verhalten insbesondere des ehemaligen Oberbürgermeisters zu bewerten
ist. Es ist eine Geschichte von Desinformation, Ver-schleierung und
Bagatellisierung mit möglicherweise entscheidendem Einfluss auf die
Kommunalwahlen. Selbst uns als damaligem Koalitionspartner ist dabei
nicht der wahre Zustand der städtischen Finanzen präsentiert worden. Uns
unbekannt war bis jetzt auch die Tatsache, dass dem ehemaligen OB noch
am 29. Juli ein Zeitplan zur Einbringung eins Nachtagshaushaltes vor der
Kommunalwahl vorlag, den er vom Tisch gewischt hat.
Aus unserer
Sicht ist das Gutachten von Prof. Dr. Beckmann objektiver und
plausibler als das von Prof. Dr. Bätge im Auftrag der
sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik erstellte Papier.
Ein Beispiel mag dafür als Beleg dienen: Das Beckmann-Gutachten weist
darauf hin, dass bei einer Besprechung am 11. August die damalige
Kämmerin und der Abteilungsleiter vom Stadtamt 20 im Gespräch mit dem
damaligen OB eine Nachtragssatzung vorgeschlagen haben. Der OB - so das
Gutachten - sei dem Vorschlag nicht gefolgt. Demgegenüber heißt es im
Bätge-Gutachten der SPD lapidar: „In der Besprechung wurde entschieden,
dass die Prognosen keine Nachtragssatzung rechtfertigen würden." Mit
dieser Formulierung wird der Eindruck erweckt, als sei man sich einig
gewesen, dass kein Nachtrag notwendig sei, weil der Haushaltsausgleich
objektiv nicht gefährdet gewesen sei. Es wird verschwiegen, dass
Kämmerin und Abteilungsleiter explizit anderer Meinung waren.
Das
für unsere Bewertung maßgebliche Gutachten ist deshalb das von Herrn
Beckmann, das bekanntlich von allen Fraktionen gemeinsam in Auftrag
gegeben wurde. Auf Intervention der SPD wurde dabei Prof. Dr. Beckmann
als Gutachter ausgewählt. Wir sind gespannt, ob und wie sich andere
Fraktionen nun den eindeutigen Empfehlungen entziehen wollen.
Aus
Sicht der GRÜNEN sind die Aussagen des Beckmann-Gutachtens darüber
hinaus in vielfacher Hinsicht überzeugend und nachvollziehbar:
● Der Gutachter misst den Unterlagen, die von der Kämmerin mit Schreiben vom 29.05.09 an Oberbürgermeister Langemeyer und Stadtdirektor Sierau versandt wurden, maßgebliche Bedeutung bei. Auch aus GRÜNER Sicht enthalten die Unterlagen wesentliche Informationen, über die der Rat und die Öffentlichkeit hätten informiert werden müssen.
● Der Gutachter führt aus, dass es zur Wahrung der Rechte des Rates darauf ankommt, dass der Rat so rechtzeitig informiert wird, dass er seiner Entscheidungsverantwortung und seiner Kontrollfunktion gerecht werden und die aus seiner Sicht notwendigen Beschlüsse rechtzeitig fassen kann. Rechtzeitig bedeutet, dass über notwendige Sparmaßnahmen über die Inanspruchnahme der Ausgleichsrücklage und über den Erlass einer Nachtragssatzung vom Rat entschieden werden kann.
● Der Grundsatz der Wahlfreiheit gebietet es darüber hinaus, den Wählern die für ihre Wahlentscheidung unerlässlichen Informationen zur Verfügung zu stellen. Eine unerlässliche Information wäre in der Tat ein zu beschließendes Paket von Sparmaßnahmen ge-wesen, wie es aktuell anlässlich der Beratungen zum Nachtraghaushalt vorgelegen hat. Darüber hätte es mit Sicherheit konfrontative Auseinandersetzungen und unterschiedliche Reaktionen in der Bevölkerung gegeben.
● Die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Oberbürgermeister seiner Informationspflicht hätte genügen müssen, ist vom Gutachter ebenfalls eindeutig beantwortet worden. Die Informationspflicht besteht nämlich dann, wenn sich eine Gefährdung des Haushaltsausgleiches abzeichnet und nicht, wenn sie schon eingetreten ist. Diese Gefährdung zeichnete sich bereits Ende Mai 2009 ab.
● Auch die Ausführungen zum Begriff der Unverzüglichkeit überzeugen.
So
ist es auch aus unserer Sicht mehr als fragwürdig, eine wahlrelevante
Thematik für eine Ratssitzung vorzusehen, die erst nach der Wahl
stattfinden wird. Die Kämmerin hatte dagegen bereits am 29.07.2009 eine
Sondersitzung des Rates vorgeschlagen. Der Gutachter geht noch weiter
und vertritt die Auffassung, dass der Rat bereits in der regulären
Sitzung am 25.06. hätte informiert werden müssen, um der Pflicht zur
unverzüglichen Unter-richtung zu genügen. Dieser Auffassung können wir
uns nur anschließen. Die Ausführungen zur Ergebnisrelevanz lassen
letztlich keinen anderen Schluss zu als einer Wahlwiederholung
zuzustimmen. Auch die Frage der Notwendigkeit einer Wahlwiederholung von
Rat und Bezirksverteretungen sind zweifelsfrei beantwortet, da es nicht
darauf ankommt, ob die Wahlbeeinflussung vom Kandidaten selbst ausgeht.
Kommentar: Kurz vor dem Rubicon
Westfälische Rundschau vom 04.12.2009, Gregor Beushausen
SPD-OB
Ullrich Sierau hat die einzig richtige Entscheidung getroffen und den
Weg für eine Neuauflage der Oberbürgermeister-Wahlen freigemacht.
Es
war allerhöchste Zeit und er dem Rubicon schon bedenklich nahe: Seit
das erstaunlich eindeutige Gutachten des Münsteraner Rechtsanwaltes
Prof. Martin Beckmann vorliegt, ist der Druck von Tag zu Tag gestiegen,
sich einem neuen Urnengang nicht zu verschließen. Zumal sich schnell
abzeichnete, dass die Mehrheit der Ratsfraktionen kommenden Donnerstag
in genau diesem Sinne entscheiden wird. Dass Regierungspräsident Helmut
Diegel (CDU), der einer staatlichen, der Neutralität verpflichteten
Mittelbehörde vorsteht, zusätzlich Feuer unter dem Kessel macht, indem
er Sierau öffentlich auffordert, den Weg frei zu geben, kommt für die
Dortmunder zwar nicht überraschend. Wirft aber langsam die Frage auf,
wie ungeniert politisch dieser Regierungspräsident eigentlich agieren
darf. Auch, wenn er in der Sache Recht hat.
Sierau bleibt gar
nichts übrig, als die Flucht nach vorn anzutreten. Noch besser hätte ihm
freilich zu Gesicht gestanden, er hätte diesen Befreiungsschlag früher
gelandet, ohne die beiden Gutachten abzuwarten. Hätte er noch länger
gezögert - den Nimbus des Getriebenen wäre er nicht mehr losgeworden.
Und
die SPD? Dortmunds Sozialdemokraten diskutieren lieber intern - und
bleiben nach außen sprachlos -, statt sich so schnell wie möglich den
Forderungen aller anderen Fraktionen nach einer Wahlwiederholung im
Sinne der politischen Hygiene anzuschließen. Es spricht Bände, dass
SPD-Rathauschef Ernst Prüsse gedanklich auf dem Wege war, gegen einen
solchen Ratsbeschluss zu klagen - und erst von Sierau eingefangen werden
musste. Die Genossen dürfen sich nicht wundern, wenn angesichts solcher
Vorgänge das alte Diktum von der „Arroganz der Macht" fröhliche Urständ
feiert. Nicht weniger irritierend erscheint der Umstand, dass sich
SPD-OB-Kandidat Sierau gestern allein ins Schaufenster der
Öffentlichkeit stellte - die Parteispitzen aber durch Abwesenheit
glänzten. So liefern die Genossen all jenen Schmierstoff, die mit Blick
auf die Rolle von Jörg Stüdemann, über den grünen Klee gelobter
Interims-Kämmerer und vormaliger SPD-interner Gegenkandidat von Sierau,
bereits munter über Ränkespiele und Intrigen spekulieren. Auch Sierau
bleibt das dunkle Geraune keineswegs verborgen.
Die OB-Wahl,
deren Wiederholung so gut wie feststeht (vermutlich im 1. Quartal 2010)
ist das eine. Die andere ist die erneute Ratswahl. Es liegt auf der
Hand, dass einzelne Mandatsträger, egal welcher politischen Couleur sie
angehören, bei einer Neuauflage auch der Ratswahl zittern, der Wähler
könnte ihnen sein erst kürzlich ausgestelltes Ticket wieder entziehen.
Und natürlich hat jeder der gewählten Ratsvertreter das Recht, sich vor
dem Verwaltungsgericht zu beschweren, sollte er vom Stadtparlament
gezwungen werden, sich erneut dem Wählervotum zu stellen.
Das
Signal, das allerdings von einer solchen Klage ausginge, wäre fatal. Für
das Ansehen der Politik insgesamt und ganz allmählich auch für diese
Stadt, die einmal mehr mit unrühmlichen Schlagzeilen von sich reden
macht. Eine Verantwortung, der sich jeder einzelne bewusst sein sollte -
auch derjenige, der behauptet, vom Langemeyerschen Versteckspiel um die
dramatisch schlechter wer-denden Haushaltszahlen nichts gewusst zu
haben. Geahnt, dass die Finanzen zum Zeitpunkt der Kommunalwahl längst
aus dem Ruder gelaufen waren, haben es mehr oder weniger alle, die im
Rat sitzen. Nur: Allzu genau nachfragen und nachhaken - das wollte kurz
vor dem Urnengang dann lieber doch niemand.
Und der Hauptakteur
der ganzen unglückseligen Posse, Ex-OB Dr. Gerhard Langemeyer? Der sieht
sich das Schauspiel von der Tribüne an, nimmt weiterhin sein gut
dotiertes Aufsichtsratsmandat bei RWE wahr und spricht dort für die SPD.
Es ist nicht mehr zu fassen.