Mario Krüger MdL

Sprecher für Kommunalpolitik,
Beteiligungen und Haushaltskontrolle

Plus Minus Normal Invert

 09.12.2014: Kommunale Schuldenkrise - ein Ländervergleich

Häufige Realität in vielen Städten: Leere Kassen. Fotonachweis: Grüne Ratsfraktion DortmundSteigende Steuereinnahmen, positive Finanzierungssalden: Dennoch ist die Haushaltssituation in vielen Kommunen weiterhin angespannt. Ein genauer Blick zeigt, dass die Schere zwischen reichen und armen Kommunen immer weiter auseinanderklafft. Während die einen Städte finanziell gut aufgestellt sind, stehen die anderen im Abwärtssog: Die Einnahmen stagnieren, während die Ausgaben gleichzeitig steigen. Einige Kommunen sind bereits überschuldet oder stehen unmittelbar vor einer Überschuldung, die Schuldenspirale ernährt sich selbst.



Einige Bundesländer versuchen über Entschuldungsprogramme den Abwärtstrend aufzuhalten. Die Landesmaßnahmen zur Rettung der kommunalen Haushalte sind zum Beispiel Tilgungs- und Zinsleistungen, also die die direkte Übernahme der Verpflichtungen durch das Land oder auch Konsolidierungshilfen mit verschiedenen Laufzeiten. Die Finanzierung der Entschuldungsprogramme erfolgt sowohl über Mittel der Landeshaushalte oder aus einzelnen kommunalen Finanzausgleichs- systemen (FAG), die zulasten der kommunalen Familie gehen. Eine Übersichtstabelle über die unterschiedlichen Enschuldungsprogramme der Bundesländer finden Sie hier.


Entschuldungsprogramme der Bundesländer


Hessen: Kommunaler Schutzschirm

Kommunen und Kreise in Hessen können über den so genannten "Kommunalen Schutzschirm" Hilfen beantragen. Dafür wurden folgende Vorraussetzungen festgelegt:

  • bei der Kommune ist eine durchschnittliche Kassenkreditaufnahme von mehr als 1.000 € je Einwohner im Jahr 2009 und 2010 ausgewiesen
  • bei der Kommune besteht ein negatives Haushaltsergebnis in den Jahren 2005 bis 2009, sowie Kassenkredite von 470 € je Einwohner
  • bei der Kommune wurde in den Haushaltsjahren 2005 bis 2009 ein durchschnittlich negatives Ergebnis von mehr als 200 € je Einwohner erzielt.

106 Gemeinden und Landkreise sind in Hessen berechtigt, einen Antrag auf diese Hilfen zu stellen. 100 Kommunen nahmen diese Chance wahr, das entspricht einem Viertel aller hessischen Gemeinden. Zu den Antragsstellern zählen auch größere Städte, wie Darmstadt, Offenbach und Kassel.

 Im Gegenzug mussten sich die Kommunen zu einem strikten Sparprogramm verpflichten, mit dem Ziel bis spätestens 2020 einen ausgeglichenen kommunalen Haushalt zu erreichen. Dabei ging man von einem durchschnittlichen Fehlbetrag von 100,- € pro Einwohner und Jahr (2011/2012) aus. Als Sanktionen drohte den Kommunen bei Nichteinhaltung der Sparmaßnahmen die Einstellung und Rückforderung der bereits gezahlter Hilfen. 2013 stellte die damalige CDU/FDP-Landesregierung fest, dass das Programm greift, es wurden Verbesserungen mit rund 100 Mio. € über dem Soll prognostiziert.



Von den anderen Parteien gab es heftige Kritik an den von CDU und FDP beschlossenen Kürzungen der Landeszuweisungen an die Kommunen. Allein in 2011 wurde der kommunale Finanzausgleich (FAG) in 2011 um rund 344 Mio. € reduziert. Der Hessische Verfassungsgerichtshof hat im Mai 2013 diese Änderungen für nicht verfassungsgemäß erklärt und gefordert, bis spätestens 2016 auf Grundlage einer nachvollziehbaren Bedarfsrechnung den FAG neu zu regeln.     


Mecklenburg-Vorpommern: Kommunaler Haushaltskonsolidierungsfond



Ende 2011 hat die SPD/CDU-Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern einen kommunalen Konsolidierungsfonds aufgelegt. Hilfen erhalten Städte, Gemeinden und Kreise, die überdurchschnittlich hohe Defizite aufweisen. Die Mittelverteilung erfolgt in Abhängigkeit zu den Defiziten der jeweiligen Gemeinde-Vergleichsgruppe. Die Hilfeleistungen werden für maximal zwei Jahre in Folge gewährt. Vorraussetzung ist, dass in den kommenden drei Jahren keine weiteren Defizite aufgebaut werden. Haben die Kommunen bis dahin keinen ausgeglichenen Haushalt erreicht, werden ihnen für weitere drei Jahre Hilfen gewährt. Im Gegenzug müssen die betroffenen Kommunen konkrete Verbesserungen auf der Einnahmen- und Ausgabenseite benennen. Bei Nichteinhaltung der festgelegten Haushaltsverbesserungen, werden die Konsolidierungshilfen ausgesetzt. 



Diese Lösung kritisierte der Städte- und Gemeindebund scharf, denn ein Großteil der Hilfen werde über Befrachtungen des kommunalen Finanzausgleichssystemen von den Gemeinden selbst finanziert. Die kommunalen Vertreter kritisierten außerdem, dass durch den Finanzausgleich 2014 die Schlüsselzuweisungen um 36 Mio. € pro Jahr reduziert wurden, obwohl die Kommunen auch Landesaufgaben übernehmen mussten und daher einen größeren Finanzbedarf als in den Jahren davor hatten.

Niedersachsen: Zukunftsvertrag-Entschuldungsfond



Ende 2009 vereinbarte die damalige niedersächsische Landesregierung mit den kommunalen Spitzenverbänden einen Zukunftsvertrag zur Entschuldung der kommunalen Haushalte. Die Finanzierung erfolgt zu gleichen Teilen aus dem Landeshaushalt und aus einer kommunalen Umlage. Umlagezahlungen werden ausschließlich von den Gemeinden erhoben, die nicht Mitglied einer Samtgemeinde (Gemeindeverband) sind.

Aus dem Entschuldungsfond, an dem sich die Kommunen bis März 2013 beteiligen konnten, werden Zins- und Tilgungshilfen von höchstens 75 % übernommen. Dies gilt allerdings nur für die Kassenkredite, die bis zum 31.12.2009 aufgelaufen sind. Der Höchstsatz wird nur gewährt, wenn er zum Haushaltsausgleich zwingend notwendig ist. Antragsberechtigt sind Kommunen, deren Steuerkraft im Vergleich zum Dreijahresdurchschnitt der jeweiligen Gemeinde-Vergleichsgruppe unterdurchschnittlich ist. Weitere Voraussetzung ist eine weit über dem Durchschnitt liegende Kassenkreditverschuldung von mind. 500 € je Einwohner. Der übliche Durchschnitt liegt bei 294 €/Einwohner. Einen Anreiz zum konsequenten Sparen wollte die Landesregierung in Niedersachsen durch die so genannte "Hochzeitshilfe" erreichen. Die Finanzhilfen sollen insbesondere an die Kommune gehen, die zum Zwecke der Haushaltskonsolidierung Fusionen eingehen und sich zu Gemeindeverbände zusammenschliessen.

Nordrhein-Westfalen: Stärkungspakt Stadtfinanzen



In Nordrhein-Westfalen (NRW) ist die Anzahl verschuldeter Kommunen im bundesweiten Durchschnitt besonders hoch. Rund 50 % der gewährten Kassenkredite in Höhe von ca. 48 Mrd. € wurden von den Kommunen in NRW in Anspruch genommen.

Neben den Ruhrgebietsstädten sind Städte wie zum Beispiel Remscheid, Solingen und Wuppertal mit 23,9 Mrd. € verschuldet, davon allein 16,2 Mrd. € mit Kassenkrediten. Die Ruhrgebietsmetropole Essen beansprucht mit einer Summe von 2,33 Mrd. € Kassenkredite in einer dreifachen Höhe, wie alle Kommunen Baden-Württembergs, Bayerns und Sachsens zusammengerechnet.

 Jede zweite NRW-Großstadt erhält Mittelzuweisungen aus dem Stärkungspakt. Unter Einbeziehung der kleineren Gemeinden ist damit ein Fünftel der NRW-Bevölkerung unmittelbar betroffen.

Zur Finanzierung des Stärkungspaktes werden von der Landesregierung bis 2021 insgesamt 5,76 Mrd. € bereitgestellt. Zusätzlich wurden ab 2010 die kommunalen Einnahmeanteile der Grunderwerbssteuer im kommunalen Finanzausgleich (FAG) wieder einbezogen und so, die durch die damalige schwarz-gelbe Regierung beschlossenen, Belastungen der Kommunen, wieder rückgängig gemacht. Das Ergebnis dieser erfolgreichen politischen Weichenstellung zur Entlastung der kommunalen Haushalte führte in diesem Jahr zu kommunalen Mehreinnahmen von 400 Mio. €.

2011 richtete die rot-grüne NRW-Landesregierung einen Stärkungspakt ein, der 2 Stufen vorsieht:

  • Teilnahme an Stufe 1: Kommunen, bei denen eine Überschuldung für die Jahre 2010 bis 2013 zu erwarten ist
  • Teilnahme an Stufe 2: Kommunen, bei denen eine Überschuldung in den Haushaltsjahren 2014 bis 2016 zu erwarten ist

Überschuldeten Kommunen sind zur Teilnahme am Stärkungspakt Stadtfinanzen Stufe 1 verpflichtet, die Inanspruchnahme der Stufe 2 ist freiwillig.

Unter Einbeziehung der Finanzierungshilfen ist der Haushaltsausgleich bis spätestens zum Jahr 2016 (Stufe 1) bzw. 2018 (Stufe 2) zu erreichen. Ein ausgeglichener Haushalt muss von den NRW-Kommunen aus eigener Kraft bis spätestens 2020 (Stufe 1) bzw. 2021 (Stufe 2) geschaffen worden sein. Wurden diese vereinbarten Ziele nicht erreicht, werden weitergehende Maßnahmen ergriffen, bis hin zu einer Zwangsverwaltung der Kommune.

Rheinland-Pfalz: Kommunaler Entschuldungsfond

Im Bundesland Rheinland-Pfalz wurde, wie in Hessen und Niedersachsen, ein Entschuldungsfond geschaffen, der die bestehenden Kassenkredite der rheinland-pfälzischen Kommunen abbauen soll. Die Kassenkredite beliefen sich Ende 2009 auf 4,9 Mrd. €. Der Anfang 2012 aufgelegte Entschuldungsfond wird über eine Laufzeit von 15 Jahren mit einem Volumen von maximal 3,825 Mrd. ausgestattet. Finanziert wird der Fond über drei Quellen: Ein Drittel stammt aus dem Landeshalt, ein Drittel aus dem kommunalen Finanzausgleichssystemen (FAG) und ein Drittel wird von den Kommunen selbst bereitgestellt.

Die Teilnahme am Entschuldungsfond ist freiwillig. Zwischen Land und teilnehmender Kommune wird ein Konsolidierungsvertrag abgeschlossen. Der Vertrag verfolgt das Ziel, den Eigenanteil an den Eigenmitteln des Entschuldungsfonds zu erwirtschaften. Das bedeutet, dass 80 Prozent der zur Verfügung gestellten Hilfeleistungen für die Schuldentilgung vorgesehen sind und 20 Prozent für den Zinsdienst eingesetzt werden müssen.

 Werden diese vereinbarten Sanierungsziele nicht erreicht,  müssen die Kommunen Ersatz-Maßnahmen nennen. Sind auch diese nicht erfolgreich, kann von den Aufsichtsbehörden den Kommunen als Schuldenbremse eine Stundung der Eigenanteile am Entschuldungsfond zugestanden werden.


Saarland: Kommunaler Entschuldungsfond


Anfang 2012 wurde von der saarländischen Landesregierung ein kommunaler Entlastungsfond eingerichtet. Die Kommunen im Saarland können Finanzierungshilfen von jährlich insgesamt 17 Mio. € beantragen, wenn sie sich in einer schiefen Finanzlage befinden. 

Über die Mittelzuweisungen entscheidet ein so genannter "Sanierungsrat", der mit Vertretern der Landesregierung und des Städte- und Gemeindebundes paritätisch besetzt ist. 30 % der Mittel sind für die Kommunen vorgesehen, die Haushaltsprobleme haben und 70 % werden den bereits überschuldete Kommunen zur Verfügung gestellt.
 
Sachsen-Anhalt: STARK II



Mit dem Programm „STARK II “ soll die kommunale Schuldenlast bis 2026 um bis zu 1,33 Mrd. € abgebaut werden. Zu diesem Zweck werden kommunale Darlehen, deren Zinsbindungsfristen im Zeitraum von 2010 bis 2016 auslaufen, von der landeseigenen Investitionsbank zinsgünstig abgelöst und gleichzeitig ein Tilgungszuschuss von 30 % zu Gunsten der betroffenen Kommunen eingeräumt. 
Über die auf diesem Weg freiwerdenden kommunalen Mittel sollen die bestehenden Darlehen durch einen größeren Schuldendienst schneller abgelöst werden, nach Möglichkeit innerhalb von 5 bis 10 Jahren. 


Rund 400 Mio. € werden für Tilgungsübernahmen zur Verfügung gestellt, die auf die Gebietskörperschaften nach folgendem Schlüssel verteilt werden: Landkreise 27 %, kreisangehörige Städte 53 %, kreisfreie Städte 20 %. Für die zinsverbilligenden Maßnahmen werden neben den Tilgungszuschüsse insgesamt 113 Mio. € bereitgestellt.


Wird der von den Kommunen zu erstellende Konsolidierungsplan nicht erreicht und besteht eine Zielabweichung von mehr als minus 20 %, greifen verschiedene Sanktionen. Zum Beispiel kann von der Investitionsbank ein Zinsaufschlag von 2,5 % für die übernommenen Darlehen für 12 Monate erhoben werden. 


Schleswig-Holstein: Kommunaler Entlastungsfond



Von der rot-grünen Landesregierung in Kiel wurde ein Entlastungsfond von jährlich 95 Mio. € bis zum Jahr 2021 eingestellt, denn Anfang 2011 lag die Verschuldung der Kommunen in Schleswig-Holstein bei 3,144 Mrd. €, darin enthalten waren 642 Mio. € Kassenkredite. Insgesamt 17 Kommunen hatten diese Hilfsleistungen erhalten.

Die Finanzierung des Fond war äußerst umstritten. Allein aus dem bereits vorhandenen kommunalen Bedarfsfond sollten 50 Mio. € entnommen werden, weitere 15 Mio. € aus den kommunalen Anteilen an der Grunderwerbssteuer und nochmals 15 Mio. über eine Reduzierung der Schlüsselzuweisungen aus dem kommunalen Finanzausgleich. Lediglich 15 Mio. € bzw. 16 % des Entschuldungsfonds sollten aus Mitteln des Landeshaushaltes finanziert werden.

Im Moment führt die neue rot-grüne Landesregierung Gespräche mit den kommunalen Spitzenverbänden, um eine alternative Lösung zur Konsolidierung der kommunalen Haushalte zu erarbeiten. Als Interimslösung werden ergänzende Fehlbetragszuweisungen zur Verfügung gestellt.



Resümee: Der Bund steht in der Pflicht


Angesichts der erheblichen kommunalen Haushaltskrise ist absehbar, dass die Landeshilfen nicht ausreichen werden, um der kommunalen Schuldenspirale zu entkommen. Dies gilt vor allem bei einem konjunkturellen Abschwung oder bei einer steigenden Zinsentwicklung. Erforderlich ist ein ganzes Maßnahmenpaket des Bundes mit folgenden Bausteinen:

  • eine grundlegende Reform der Grund- und Gewerbesteuer zur Erhöhung der kommunalen Einnahmen
  • eine stärkere Bundesbeteiligung an den „Kosten der Unterkunft“ für SGB II-Empfänger
  • eine umgehende Beteiligung an den Eingliederungshilfen oder die Einrichtung eines Altschuldenfonds.

Hierauf hat sich die große Koalition aus CDU/CSU und SPD bis heute nicht verständigt
, obwohl für die Kommunen ein dringender Handlungsbedarf besteht. Die Bundesregierung lässt die Städte und Gemeinden an diser Stelle mit ihren immer größer werdenden Problemen und den anwachsenden kommunalen Verpflichtungen allein.


Fotonachweis: Leere Kassen, Grüne Ratsfraktion Dortmund