Mario Krüger MdL

Sprecher für Kommunalpolitik,
Beteiligungen und Haushaltskontrolle

Plus Minus Normal Invert

05.03.2011: Die Einführung des SozialTickets oder das Bohren von dicken Brettern

Wir erinnern uns: Im Januar 2010 hatte eine schwarz-grüne Koalition in der VRR-Verbandsversammlung die Einführung eines SozialTickets im Geltungsbereich des Verkehrsverbandes Rhein Ruhr (VRR) vereinbart.

Vorausgegangen war ein 2-jähriger Modellversuch in Dortmund. Grüne und SPD im Dortmunder Stadtrat hatten zum 01.02.2008 die Einführung eines SozialTickets für einen Preis von 15,00 €/Monat, auf Basis des Tickets1000 für das Dortmunder Stadtgebiet, eingeführt. Rund 24.800 Anspruchberechtigte (Bezieher von Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld vom JobCenter ARGE, Hilfe zum Lebensunterhalt oder Grundsicherung im Alter, Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder wirtschaftliche Leistungen vom Jugendamt) nutzten das Sozialticket. Im November 2009 wurde das Dortmunder Sozialticket von einer großen Koalition aus SPD, CDU, FDP und Bürgerliste faktisch abgeschafft. Für 30,00 €/Monat wird das Doppelte von dem gefordert, was im Arbeitslosengeld II für Mobilität vorgesehen ist. Darüber hinaus ist es erst ab 09:00 Uhr nutzbar. Wer frühmorgens zu einer Arbeitsgelegenheit oder Fortbildungsmaßnahme muss, der ist damit Außen vor. Entsprechend brachen die Absatzzahlen ein. Statt 24.000 nutzen heute nur noch rund 7.800 Menschen das „Sozialticket-Light". Gleichzeitig brachen die Einnahmen der Dortmunder Stadtwerke (DSW21) ein. Während der VRR (ohne DSW21) ein Einnahmeplus von 2 % in 2010 gegenüber 2009 verzeichnen konnte, mussten die Dortmunder Stadtwerke ein Minus von 3,5 Mio. € bzw. -3,6 % hinnehmen.

Zurück zum VRR:

Vereinbart wurde mit der CDU die Einführung eines Sozialtickets zum 01.08.2010 zu folgenden Preisen:

Ticket1000 im Abo, Preisstufe A2: 23,00 € statt 50,48 €
Ticket1000 im Abo, Preisstufe A1: 19,00 € statt 49,20 €
Ticket1000, 9:00 Uhr im Abo, Preisstufe A2: 16,00 € statt 36,81 €
Ticket1000, 9:00 Uhr im Abo, Preisstufe A1: 15,00 € statt 35,83 €

Entsprechend der schwarz-grünen Koalitionsvereinbarung sollten alle Zusatzleistungen des SozialTickets entsprechend dem Ticket1000 zur Anwendung kommen.  D.h.: Mitnahme von bis zu Personen ab 19:00 Uhr bzw. am Wochenende rund um die Uhr, kostenlose Fahrradmitnahme und durch Nutzen des ZusatzTickets Fahren im Mehrwaben-Tarif (Preisstufe B bis D). 

Ein Sturm der Entrüstung brach aus. Insbesondere die Verkehrsbetriebe mobilisierten gegen das Sozialticket. Die Rheinbahn, Düsseldorf, malte Verluste von 6 bis 9 Mio. € an die Wand, der Bochumer Bogestra-Betriebsrat hatte Angst vor dem SozialTicket, die Stadtwerke Krefeld ermittelte Defizite von 1,2 Mio. €, der Bogestra-Chef Burghard Rühberg sprach vom Kostenfaktor SozialTicket, die Dortmunder Stadtwerke von einem nicht finanzierbaren Schnellschuss. Parallel wurde die Bezirksregierung Düsseldorf als Kommunalaufsichtsbehörde des VRR aufgefordert eine Einführung des SozialTickets zu untersagen.

Ein Schritt nach Vorne und zwei Schritte zurück

Um den Irritationen in den CDU-Reihen Rechnung zu tragen wurde eine Studie zur Abschätzung möglicher Wanderungsverluste durch Tarifwechsler erstellt. Beauftragt wurde das Aachener Institut Ingenieursgruppe für Verkehrsentwicklung und Verfahrensentwicklung (IVV). Zum Mobilitätsverhalten des Berechtigtenkreis wurden rund 2.100 Personen in den kreisfreien Städten Düsseldorf, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Hagen und Mönchengladbach sowie in den kreisangehörigen Städten Recklinghausen, Castrop-Rauxel, Marl, Viersen, Willich und Kempen in den Amtsräumen der JobCenter Arge bzw. in den örtlichen Sozialämtern befragt. Die im September 2010 vorgelegte Marktforschung zeigte folgende Ergebnisse:

Die Anspruchberechtigten nutzen im starken Maße Bus und Bahn. Bei durchschnittlich 2,20 Wegen je Tag mit dem PKW, Fahrrad, zu Fuß und den ÖPNV werden rund 1,00 Fahrten je Tag mit Bus und Bahn unternommen. Entsprechend hoch gestalteten sich die Einnahmen aus diesem Kundenkreis. IVV ermittelte durchschnittliche Ausgaben von 11,50 € monatlich für Bus und Bahn. Bei 1,14 Mio. potentiellen Sozialticket-Nutzern im Verbandsgebiet des VRR wurden Einnahmen von rund 158 Mio. € bisher erzielt. Entsprechend gestalteten sich die Wanderungsverluste durch Wechsel aus den teureren Tarifangeboten zum Sozialticket. Für den Einzugsbereich des VRR's wurden je nach Preisausgestaltung 32 bis 38 Mio. € veranschlagt, hinzu kamen 2,2 bis 3,0 Mio. € Mindererlöse aus der Schwerstbehinderten-Beförderung sowie ein geschätzter Verwaltungsaufwand zur Prüfung der Antragsberechtigung von 8 bis 12 Mio. €. Oder anders formuliert: Die Einführung eines SozialTickets im Einzugsbereich des VRR führt zu Mindererlösen, bzw. Mehraufwendungen von rund 50 Mio.

Wasser auf die Mühlen der SozialTicket-Gegner

Nach den Landtagswahlen im Mai 2010 wurde die bisherige schwarz-gelbe Landesregierung durch eine rot-grün geführte Minderheitsregierung ablöst. Zum SozialTicket vereinbarten SPD und Grüne im Koalitionsvertrag:

Kurzfristig werden wir deshalb die Initiative ergreifen und die flächendeckende Einführung von SozialTickets in den jeweiligen Zweckverbänden des Landes unterstützen. Hierbei werden wir uns an den Zuschüssen des Landes für das Semesterticket sowie den Schülerfahrkosten orientieren und die entsprechenden Mittel aus dem Landeshaushalt zur Verfügung stellen. Wir werden ab dem Haushaltsjahr 2011 sicherstellen, dass die für den Januar 2011 geplante Einführung des Sozialtickets im Bereich des VRR unterstützt wird."

In vergleichbaren Anträgen hatten sich bereits die Fraktionen von SPD und Grüne im Landtag NRW in 2008 ausgesprochen. Bereits in der Landtagsdebatte im April 2009 zeichnete sich aüßerst distanzierte Haltung der Verkehrsunternehmen ab.

Somit konnte zumindest ein Teil der prognostizierten Wanderverluste kompensiert werden. CDU und Grüne im VRR vereinbarten im September 2010 mit Zustimmung der SPD-Fraktion und den Vertretern der Verkehrsunternehmen die Einführung eines Sozialtickets zu einem Preis von 22,50 € in Anlehnung an das Ticket1000 (nicht übertragbar wie bisher, allerdings keine Mitnahmemöglichkeiten ab 19:00 Uhr bzw. am Wochenende und der Nutzungsausschluss von ZusatzTickets, keine kostenfreie Fahrradmitnahme). Der entsprechende Beschlussvorschlag wurde gegen die Stimmen der FDP-Vertreter getroffen. Gleichzeitig sollten Verhandlungen mit der Landesregierung und den rot-grünen Landtagsfraktionen aufgenommen werden, um darüber hinausgehende Verluste kompensieren zu können.

Zum Jahreswechsel 2010 / 2011 drohte Ungemach von anderer Stelle. Der Vergleichsvertrag aus 2009 zwischen VRR und DB regio zum schienengebundenen Personennahverkehr (SPNV) wurde aufgrund von Vergabebeschwerden durch den Bundesgerichtshof für ungültig erklärt. Außergerichtliche Vergleichslösungen zwischen dem Kläger Fa. Abellio und dem VRR wurden durch das Bundeskartellamt untersagt. In der Konsequenz werden die derzeitigen SPNV- Leistungen auf Grundlage eines nicht durchfinanzierten SPNV-Vertrages aus 2004 von der DB regio erbracht. Rund 35 Mio. € fehlen derzeit in den Kassen des VRR, um das derzeitige SPNV-Angebot vorzuhalten.

Gleichzeitig hatten die Oppositionsparteien CDU und FDP Verfassungsbeschwerde gegen den Nachtragshaushalt eingelegt. Und so wie es aussieht wird zumindest in Teilbereichen der Verfassungsbeschwerde entsprochen mit der Konsequenz, dass enge Maßstäbe an die Neuverschuldung des Landes NRW gelegt werden.

Der Entwurf des Landeshaushaltes 2011 sieht zurzeit anteilige Zuschüsse in Höhe von 15 Mio. € für die zweite Jahreshälfte 2011 vor. In der mittelfristigen Finanzplanung sind ab 2012 ff. 30 Mio. € zur Finanzierung eines SozialTickets vorgesehen. Diese Mittel sind jedoch nicht ausschließlich für den VRR reserviert sondern werden mit Einführung eines SozialTickets allen jeweiligen Kommunen zur Verfügung gestellt. Als Verteilschlüssel wird die Anzahl der gemeldeten Bezieher von Arbeitslosengeld II herangezogen. Für den VRR können bei einer verbundweiten Einführung eines SozialTickets Zuschüsse in Höhe von 15 Mio. € erwartet werden.

Das ist den VRR-Fraktionen von SPD und CDU deutlich zu wenig. „Wenn das Land ein VRR-SozialTicket will, dann soll die Landesregierung es auch komplett finanzieren", so Ernst Prüsse, SPD-Fraktionsvorsitzender im VRR und im Rat der Stadt Dortmund.

Wie es anders geht, zeigen uns die Rheinländer:

In Aachen und Köln ist bereits ein SozialTicket eingeführt worden. Der Rhein-Sieg-Kreis, Leverkusen und Bonn werden nachziehen. Die im Raum Köln, Rhein-Sieg-Kreis und Bonn diskutierten Konditionen sehen folgendermaßen aus:

Angeboten wird ein Sozialticket sowohl als Monatsticket als auch als 4er-Ticket. Die Abgabepreise werden um rund 60 % gegenüber den Normalpreisen abgesenkt. Selbstverständlich sind Mitnahmemöglichkeiten (bis zu 5 Personen ab 19:00 Uhr bzw. am Wochenende rund um die Uhr) zugelassen, ebenso eine kostenfreie Fahrradmitnahme. Das SozialTicket ist im Übrigen übertragbar! Es wird für alle Preisstufen angeboten (analog Preisstufe A, B, C und D zum VRR). Und als besonderer Clou bleibt es zumindest in Köln bei dem Berechtigtenkreis, wonach auch Geringverdiener mit Einkünften bis zu 30 % über den Bedarfssätzen von Harzt IV- Beziehern das Sozialticket nutzen können.

Selbstverständlich haben auch die Kölner gemeinsam mit dem Rhein-Sieg-Kreis und Bonn eine Marktstudie in Auftrag gegeben: Die Ergebnisse sind erstaunlich. Gegenüber den VRR-Zahlen werde die Wanderungsverluste um den Faktor 4 geringer angesetzt. Konkret ist ein Ausgleichsbetrag von 5,1 Mio. € jährlich notwendig, der durch die Zuschüsse aus dem Landeshaushalt abgedeckt werden kann. Der Kölner Hartz IV- Empfänger nutzte vor Einführung des SozialTickets im Gegensatz zu den VRR-Studien im geringeren Umfang den ÖPNV. Rund 0,48 Fahrten pro Tag werden mit Bus und Bahn unternommen bzw. monatlichen Einnahmen von 2,70 € würden aus diesem Personenkreis erwirtschaftet. Die VRR-Zahlen sehen demgegenüber ganz anders aus: 1,00 Fahrten pro Tag und monatliche Einnahmen von 11,50 € je Berechtigten. Unterschiedliche Ausgangsbedingungen sind hierfür maßgebend, so der VRR lapidar in einer Vergleichsstudie.

Nur ein Schelm könnte der Auffassung sein, dass ganz bewusst durch unrealistische Annahmen die Einführung eines VRR-weiten Sozialtickets unmöglich gemacht werden sollte. Aber manchmal müssen die SPD- und CDU-Verantwortlichen im VRR zum Jagen getragen werden.

Das Geschacher um das SozialTicket muss aufhören, so der DGB Region Ruhr-Mark. Dem kann man nur zustimmen.